Die Generation Corona
Gastronomie, Theater, Fußball-Bundesliga & Co. - an Viele wird in der Pandemie gedacht. Einige werden mit Steuergeldern bezuschusst, andere werden ganz besonders bemitleidet und wieder andere bekommen Sonderrechte zugeteilt. Doch über Kinder und Jugendliche wird kaum öffentlich gesprochen. Nur dann, wenn das Thema Schulschließung „ja oder nein“ zur Debatte steht. „Dabei ist es auch für sie eine ganz besondere Situation, eine belastende Zeit. Sie haben gerade so unglaublich viel Zeit und können nichts machen. Es gibt nicht mal mehr die Möglichkeit, sich zu treffen. Das ist ihnen komplett weggebrochen“, sagt Paul Backwinkel, Leiter des Jugendfreizeithauses der AWO (Jawo) in Weitmar.
Die Jugendtreffs sind – wie alle anderen Einrichtungen auch - Coronabedingt seit November zu, wieder einmal. Im ersten Lockdown waren die Häuser bereits von März bis Juni zu. „Wir haben unsere Angebote deutlich einschränken müssen“, sagt Jörg Borling, Leiter des Offenen Treffs in Weitmar (OT Weitmar) im Matthäushaus. Und Udo Moor, Leiter des Offenen Treffs der evangelischen Gemeinde in Eppendorf (OT Eppendorf), sagt: „Wieder einmal haben wir neu starten müssen.“
Denn seit die Jugend- und Freizeithäuser Ende des Jahres komplett schließen mussten, läuft vieles nur noch digital ab. Es werden den Jugendlichen Sprechstunden per Video angeboten, Online-Spiele-Abende organisiert, Videoclips für Spieloder Bastelanleitungen verschickt, Schnitzeljagd per Bildschirm durchgeführt und und und. Sogar bei den Hausaufgaben wird online geholfen. „Die meisten Jugendlichen sind immerhin noch da. Aber es ist alles suboptimal. “, sagt Borling vom OT Weitmar, zu der auch der OT in Weitmar-Mark im Gemeindehaus der Emmaus-Gemeinde gehört.
Die Angebote der Kinderund Jugendeinrichtungen in Weitmar und Eppendorf werden ständig aktualisiert. „Es ist ausbaufähig, aber es geht irgendwie“, sagt Borling. Immerhin könnten so die Jugendlichen noch direkt erreicht werden. In Eppendorf ist das anders.
„Unser Angebot funktioniert nur über die Eltern, denn vorrangig sind bei uns Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren“, sagt Moor. Nun ist Eppendorf kein sozial schwacher Brennpunkt-Stadtteil, ganz im Gegenteil, aber Moor bereitet es schon Sorge, dass „wir die 13- bis 14-jährigen Jugendlichen, die vorher in den Gruppen waren, mit der neuerlichen Schließung verloren haben“. Dabei hatte auch der OT Eppendorf in den vergangenen Wochen und Monaten vor der Schließung ein umfangreiches Hygienekonzept umgesetzt, um dem Nachwuchs Freizeitangebote mit direkten Kontakten ermöglichen zu können. „Und der Zulauf wurde immer größer. Vor allem, als die Sportvereine dicht machen mussten“, sagt Moor.
Bis zuletzt habe im Gemeindehaus In der Rohde sehr viel draußen an der frischen Luft stattgefunden. „Und das war selbst im dicken Anorak nicht immer eine Freude“, sagt Moor, „aber wichtig war, dass die Kinder und Jugendlichen etwas gemeinsam machen konnten.“ Das ist nun seit fast drei Monaten nicht mehr der Fall.
Jawo-Leiter Backwinkel beobachtet die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. „Den Jugendlichen fehlt ein Anlaufpunkt. Für sie ist es doch noch einmal ganz anders, sie haben noch nicht die Lebenserfahrung, dass das Leben auch andere Seiten bereit hält“, sagt Backwinkel, der im Freizeithaus an der Neuhofstraße ansonsten unter der Woche rund 70 „Stammgäste“ im Teeangeralter 15 plus begrüßen kann. „Wir haben hier ja eine ganze Menge, von einer Fußball- und Tischtennishalle, bis zum Tonstudio oder Computerraum“, sagt Backwinkel. Seit Wochen ist alles leer. Stille prägt das große Haus.
Den Lockdown nutzten Backwinkel und seine Kollegin sowie ein Praktikant, um kleinere Reparatur- und Verschönerungsarbeiten durchzuführen. Normalerweise helfen dabei die Jugendlichen, wie im Sommer, als im Außenbereich viel neu gestaltet wurde. „Aber sie fehlen uns jetzt natürlich“, sagt Backwinkel. Das ist im Matthäushaus des OT Weitmar nicht anders. „Gemeinsam mit einer Künstlerin wollten die Jugendlichen ein Graffiti auf die Wände bringen. Angefangen hatten sie schon, aber leider musste es die Künstlerin wegen der Kontaktbeschränkungen am Ende alleine zu Ende bringen“, sagt Sozialpädagoge Borling.
Die Sorge, dass die Jugendlichen „verloren“ gehen, hat Borling aber nicht. Wenngleich die Gespräche mit den Jugendlichen - die regelmäßig zumindest online und auf Distanz angeboten werden - deutlich intensiver geworden sind. „Man merkt ihnen den Frust schon an“, sagt Borling. „Immer wenn man zufällig einen der Jugendlichen auf der Straße trifft, sind die ersten Frage gleich: Wann macht ihr wieder auf? Wann können wir wiederkommen?“, erzählt Borling. Und Jawo-Leiter Backwinkel betont: „Gerade jetzt, wo wir Erwachsenen auch die Zeit zum zuhören haben, können wir für die Jugendlichen nicht persönlich da ein.“ Es fehle den Jugendlichen eine Perspektive. Aber die Kindheit und die Jugend hätten auch einen Vorteil: „Sie vergessen schnell und sind schnell wieder optimistisch. Es ist gut, dass sie das können. Aber trotzdem, die Zuversicht schwindet gerade...“.